Die „westliche Welt“ steht vor einer schwierigen Gratwanderung. Denn wir müssen uns nach den Attentaten von Paris wieder einmal der Wahrheit stellen, dass monotheistische, missionarische Religionen ein Problem für die freie Gesellschaftsordnung darstellen können.
In ihrem absoluten Wahrheitsanspruch neigen diese Systeme dazu, Intoleranz, sowie letztendlich Frustration und Hass in den Gläubigen zu schüren.
Der missionarische Aspekt beinhaltet zwingend den Anspruch, dass sich die ganze Welt nach den eigenen Prinzipien zu richten hat. Andersdenkende sind lediglich Ziel für Bekehrungsversuche und werden, sofern sie sich der Bekehrung verweigern, als minderwertig, moralisch verwerflich oder gar gefährlich dargestellt.
Natürlich auch deswegen, weil aus Sicht der Religionen ein offener, auf Augenhöhe geführter Diskurs mit Andersdenkenden existenzbedrohend ist.
Das tiefer liegende Problem besteht meiner Meinung nach darin, dass religiöse Ansichten von vornherein nicht sachlich argumentierbar sind. Sie halten einer kritischen Betrachtung schlichtweg nicht stand. Könnte man die Existenz von Göttern, oder den göttlichen Ursprung bestimmter Regelwerke, beweisen, dann wären sie Gewissheit. Man bräuchte nicht davon überzeugt werden, daran zu glauben.
Um den bekannten österreichisch-britischen Philosophen Sir Karl Popper zu zitieren:
Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die unbeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.
Damit wünsche ich nicht zu sagen, dass wir z. B. intolerante Philosophien auf jeden Fall gewaltsam unterdrücken sollten; solange wir ihnen durch rationale Argumente beikommen können und solange wir sie durch die öffentliche Meinung in Schranken halten können, wäre ihre Unterdrückung sicher höchst unvernünftig.
Aber wir sollten für uns das Recht in Anspruch nehmen, sie, wenn nötig, mit Gewalt zu unterdrücken; denn es kann sich leicht herausstellen, dass ihre Vertreter nicht bereit sind, mit uns auf der Ebene rationaler Diskussion zusammenzutreffen, und beginnen, das Argumentieren als solches zu verwerfen; sie können ihren Anhängern verbieten, auf rationale Argumente – die sie ein Täuschungsmanöver nennen – zu hören, und sie werden ihnen vielleicht den Rat geben, Argumente mit Fäusten und Pistolen zu beantworten.
Nun darf man natürlich nicht in stumpfen Rassismus verfallen, oder gar mit Gewalt und Pogromen auf die in Schwäche und Frustration begründeten Handlungen verblendeter Fundamentalisten reagieren.
Der bisher oft (vielleicht aus Bequemlichkeit oder falsch verstandener Weltoffenheit) beschrittene Weg des Wegschauens und Schönredens ist aber jedenfalls auch zum scheitern verurteilt.
Um die aufgeklärte Gesellschaftsordnung zu erhalten, müssen wir der Intoleranz klare Grenzen setzen.
Es ist ja nichts neues, dass missionarische Religionen eine Gefahr für die Aufklärung und den (auch sozialen) Fortschritt bedeuten. Wie viel mehr hätten Leonardo DaVinci und Gallileo Gallilei zu den Wissenschaften beitragen können (um nur zwei der bekanntesten Beispiele zu nennen) wenn sie nicht zeitlebens aus Furcht vor der Inquisition Zurückhaltung geübt hätten?
Man darf nicht vergessen, dass unsere heutigen Freiheiten, inklusive des Rechts, sich in Comics (mehr oder minder ungestraft) deftig über das Leben des Jesus von Nazaret lustig zu machen, die Frucht eines lange währenden und mit viel Blut bezahlten Prozesses sind.
Heute lacht sogar so mancher Bischof mit Gerhard Haderer. Wer „Das Leben des Jesus“ nicht lustig finden kann, macht eben ein säuerliches Gesicht. Im 15. Jahrhundert hätte es stattdessen ein lustiges Autodafé gegeben. Mit abschließendem Freudenfeuer.
Menschen, für welche Gewalt als Antwort auf Kritik und Satire die gesellschaftliche Norm darstellt, machen zur Zeit die Merheit im Islam aus.
Eine gewagte These? Ein Aufruf zur Spaltung der Gesellschaft? Mitnichten. Vielmehr handelt es sich dabei um eine ausführlich begründbare, realistische Einschätzung der Tatsachen. Ihrer Offensichtlichkeit kann man sich einfach nicht erwehren, wenn man nur für einen Augenblick die rosa Brille der Harmoniesucht ablegt:
Es gibt insgesamt 1,6 Milliarden Muslime auf der Welt. Die überwiegende Mehrzahl davon lebt in Ländern, wo die Charlie Hebdo Redaktion schon lange „ganz legal“ entweder hingerichtet oder ausgepeitscht und für lange Zeit eingesperrt worden wäre.
Am 9. Januar, kurz nach den grausamen Morden in der Pariser Redaktion von Charlie Hebdo, wurde in Jedda (Saudiarabien) der Blogger Raif Badawi öffentlich ausgepeitscht. Er erhielt 50 Peitschenhiebe, die erste „Tranche“ seiner Strafe von insgesamt 1000 Schlägen und zehn Jahren Gefängnis.
Sein Verbrechen: Er hatte die Internet-Seite „Liberal Saudi Network“ ins Leben gerufen. 2014 wurde er von Reporter ohne Grenzen ausgezeichnet. Von offensiver Kritik oder Satire im Kaliber von Charlie-Hebdo war Badawi ungefähr so weit entfernt, wie die Amisch von der Entwicklung einer Atombombe.
Auch Könige und Diktatoren wie das Regime in Saudi-Arabien brauchen zumindest die Duldung einer Mehrheit der Bevölkerung.
Die Auspeitschung fand öffentlich auf dem Vorplatz der Moschee statt. Es gab zahlreiche Augenzeugen, eingeschritten ist niemand. Verurteilt wurde das Vorgehen der saudischen Regierung nur von westlichen Organisationen. Auch Wortmeldungen seitens saudischer Exil-Oppositioneller blieben scheinbar aus. Gibt es eine solche Opposition gegen die mittelalterliche Herrschaft in Riad überhaupt?
Saudi-Arabien hat beinahe 30 Millionen Einwohner. Eine Mehrheit davon macht sich an den Verbrechen gegen die Menschlichkeit, welche das Herrscherhaus wie im Fall Badawi verübt, zumindest durch Duldung mitschuldig. Legitimiert werden sowohl der Herrschaftsanspruch des Königshauses, wie auch die barbarische Gesetzgebung, ausschließlich durch die Staatsreligion Islam.
Die Todesstrafe, schwere Körperstrafen und/oder Gefängnis für jegliche Kritik an der Staatsreligion gibt es beispielsweise auch im Iran, Irak, Sudan, den arabischen Emiraten, Jemen, Pakistan, Afghanistan, Malaysia und Indonesien,…
Der Wunsch, kein Muslim mehr sein zu wollen, ist ebenfalls in vielen islamischen Ländern Grund genug für die Todesstrafe.
Alleine in Frankreich wurden laut offiziellen Quellen mehr als 18.000 Tweets unter dem Hashtag #jesuiskouachi verbreitet, also in offener Unterstützung für die Attentäter.
Lehrerinnen und Lehrer zeigten sich in den Medien schockiert darüber, dass es anlässlich der landesweiten Schweigeminute für die Opfer „Schwierigkeiten“ mit muslimischen Schülerinnen und Schülern gab.
Der Direktor einer Straßburger Schule wurde auf Arte mit den Worten zitiert: „Vielen unserer Schüler sind religiöse Prinzipien offensichtlich wichtiger als unsere gesellschaftliche Ordnung“. Sehr häufig werde die Tat entweder geleugnet oder relativiert, nach dem Motto: Die Karikaturisten von Charlie Hebdo hätten den Propheten ja nicht zeichnen müssen und aufgrund ihrer Taten die „Strafe“ verdient.
Um es mit den Worten von Scheich Harith bin Ghazi al-Nadhari aus dem Jemen zu sagen: „Einige Söhne Frankreichs zeigten schlechtes Benehmen gegenüber dem Propheten Mohammed. Deswegen hat sich Allahs Armee gegen sie erhoben, ihnen Manieren beigebracht und die Grenzen der Redefreiheit aufgezeigt.“
„Moderate“ islamischePrediger aus aller Welt haben betont, dass die Schariah für das Verbrechen der Darstellung des Propheten die Todesstrafe vorsieht. Selbst wenn sie das Attentat verurteilen (was in vielen Fällen eben nicht passiert), liefern sie dennoch Rechtfertigung und religiöse Absolution für die Täter.
Die Schariah ist direkte Rechtsgrundlage in Saudi-Arabien und Mauretanien, in Teilen Nigerias, auf den Malediven, im Iran, in Bangladesh, Afghanistan, Pakistan, im Sudan, in Gambia, im Senegal, in Katar, Kuwait, Bahrain, Lybien und dem Jemen.
Laut einem Rechtsgutachten des international renommierten ägyptischen Instituts „Dar al-ifta al misriya“ (Haus der Fatwa) ist die von den Überlebenden der Charlie Hebdo Redaktion herausgegebene aktuelle Ausgabe, mit ihrer vielschichtigen und versöhnlichen Mohammed Karikatur auf dem Titelbild, eine „unverzeihliche Provokation“, welche die Gefühle von 1,5 Milliarden Muslimen weltweit verletze. So baut man keine Brücken, sondern schafft vielmehr die Basis für weitere Anschläge.
Offizielle Proteste gegen das weitere Erscheinen von Charlie Hebdo kamen bisher aus dem Iran, Ägypten und von der Hamas. In der Türkei wurde die Verteilung der übersetzten Fassung durch einen Richter unterbunden.
Die Lernfähigkeit, welche das Christentum in Europa zeigen musste, ist auch vom Islam zu verlangen.
Viele Religionen haben ähnliche Phasen der Radikalität durchlaufen. Was im Namen des Christentums allein in Europa an Morden und Folterungen aufgeführt wurde, ist selbst mit einigen Jahrhunderten Abstand noch extrem schwer zu ertragen. Historische Prozessaufzeichnungen zu lesen empfiehlt sich nur für Menschen mit besonders starkem Magen.
Der Islam steht auch aktuell nicht alleine da. Im Hinduismus gibt es derzeit eine starke Tendenz hin zu Radikalisierung und Intoleranz, die Auswirkungen sind auch in der indischen Politik schon deutlich sichtbar. Selbst der Buddhismus, eigentlich eine „gottlose“ Religion, deren Grundsatz absolute Friedfertigkeit sein sollte, bringt in Myanmar ethnische Gewalt hervor, an welcher sich auch buddhistische Mönche maßgeblich beteiligen.
Aber keine andere Religion ist im Moment derart flächendeckend radikalisiert wie der Islam.
Wie Christopher Hitchens einmal sagte:
Noch in den 1930 Jahren hätte ich das Christentum als die gefährlichste Religion eingestuft, vor allem wegen der engen Verflechtung von Katholizismus und Nationalsozialismus/Faschismus. Heute hat diese Position eindeutig der Islam eingenommen.
Wir dürfen selbstverständlich nicht alle Gläubigen über einen Kamm scheren. Wie in allen Religionen gibt es auch innerhalb des Islam viele engagierte, mutige, wertvolle Menschen. Menschen, welche die Welt zum Guten verändern wollen.
Menschen, welche sich durch offene Worte und ehrlich vertretene Meinungen oft viel bewusster Gefahren für das eigene Wohlergehen aussetzen, als dies bei den Redaktionsmitgliedern von Charlie Hebdo der Fall war.
Aber gerade, weil wir auch vor den Opfern „auf der anderen Seite“, nämlich jenen Menschen, welche das Pech hatten in ein repressives steinzeitliches Gesellschaftssystem hinein geboren zu werden, unsere Augen nicht verschließen dürfen, sind wir dringend dazu aufgefordert zu handeln.
Es wird Zeit, mit dem Wegschauen aufzuhören. Falsch verstandene Toleranz hilft niemandem.
Wir haben uns durch unsere Betriebsblindheit und unsere „weltoffene“ Duldung der Barbarei schon viel zu sehr gegen missbrauchte, unterdrückte und im wahrsten Sinne des Wortes verkaufte Menschen in aller Welt schuldig gemacht.
Die mit den Attentaten von Paris in das Licht gerückten Fakten stellen eine Bedrohung für die grundlegensten Fundamente der Menschlichkeit dar.
Wir müssen darüber reden, dass in einem beträchtlichen Teil der Welt die Menschenrechte systematisch mit Füßen getreten werden.
Wir müssen darüber reden, dass ein beträchtlicher Teil der Menschheit insgesamt (und das inkludiert natürlich auch intolerante Christen, Hindus, Buddhisten, Juden etc.) glaubt, aufgrund von schlecht geschriebenen Märchenbüchern aus vergangenen Jahrtausenden das Recht zu haben, auf Kritik mit Gewalt zu reagieren.
Wir müssen aufhören, grenzenlose Toleranz gegenüber der Intoleranz zu üben, die Gewalttäter beim Namen nennen und Veränderungen verlangen.
Ein wirksamer erster Schritt wäre das Ende der Indoktrination von millionen Kindern und Jugendlichen weltweit, denen derzeit kaum Lesen und Schreiben beigebracht wird, dafür aber um so mehr theistisch-barbarisches Gedankengut.
Das Zeitalter der Aufklärung ist noch nicht zu Ende. Wenn der Prozess stecken bleibt, oder die Freiheit womöglich sogar zurückgedrängt wird, besteht die realistische Gefahr, dass alle Fortschritte der letzten Jahrhunderte null und nichtig werden.
Den besten Beweis dafür liefern nicht zu letzt Österreichische und Deutsche Politiker, welche nach wie vor an unsäglichen „Blasphemieparagraphen“ zum Schutz der persönlichen Empfindlichkeiten intoleranter religiöser Menschen festhalten, ja sogar die Chuzpe besitzen, als Reaktion auf Charlie Hebdo deren Verschärfung fordern.
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