Alles ist Partizipation – ob wählen, auf die Straßen gehen oder den Klimawandel bekämpfen

Es gibt vielfältige Möglichkeiten mitzubestimmen. Doch nur allzuoft wird im politischen Prozess Partizipation mit Wählen gleichgesetzt. Wählen ist tatsächlich wichtig. Das wissen vor allem diejenigen, denen dies verboten ist. Wählen heißt Präferenzen haben, etwas wollen oder doch zumindest Anderem vorzuziehen. Deshalb ist Wahlfreiheit ein hohes Gut. Deshalb sind Regime, in denen nicht gewählt wird, Diktaturen – wiewohl nicht alle Staaten, in denen gewählt wird, keine Diktaturen sind.

Im wesentlichen gibt es zwei Formen des Wählens: Direkt oder indirekt. Bei direktdemokratischen Entscheidungen trifft jede Person selbst eine Entscheidung über die Sache (was manchmal auch eine Personalentscheidung sein kann). Indirekt bedeutet demgegenüber, dass VertreterInnen, RepräsentantInnen, gewählt werden, die dann für bestimmte Themen über bestimmte Zeit eine Vielzahl an Entscheidungen treffen. Die parlamentarische Demokratie ist die bekannteste Form der Vertretungsdemokratie, aber auch die Kammern und Betriebsräte funktioniert auf dieser Basis.

Es gibt gute Argumente für beide Formen des Entscheidens – und es gibt eine große Falle, nämlich den Versuch, das Thema Partizipation auf die Frage zu reduzieren, ob jemand für oder gegen direkte oder repräsentative Demokratie sei. Dies ist aus zweierlei Gründen eine Falle: Zum einen weil es von Situation zu Situation unterschiedliche Formen des Mitentscheidens passend sein können. Zum anderen, weil sich das Potential von Beteiligung nicht im Entweder-Oder, sondern in der Verbindung von unterschiedlichen Beteiligungsformen am besten entfaltet.

Basisdemokratie, einer der sechs grünen Grundwerte, betont das grundsätzliche Beteiligungsrecht der Menschen. Wichtig ist die Möglichkeit realer Teilhabe an Entscheidungsprozessen: Kann ich mitreden, ob meine Straße ein Wohnstraße wird? Kann ich mitentscheiden, welche Kulturveranstaltungen im Bezirk stattfinden? Wie erfahre ich, welche Meinung meine Partei zu Stadterweiterungsprojekten hat?

So zählt die MÖglichkeit, demonstrieren zu können, ohne im Gefängnis zu landen, oder eine Bürgerinitiative zu gründen, ohne von Behörden schikaniert zu werden, zu den demokratischen Grundrechten. Ohne Protest gibt es keinen gesellschaftlichen Fortschritt, ohne Kritik keine Innovationen. Daran zeigen sich auch die Grenzen verengter Demokratieverständnisse: In Russland wird mittlerweile regelmäßig gewählt. Doch das Versammlungsrecht ist streng limitiert und zivilgesellschaftlichen Organisationen wird das Leben schwer gemacht. Aber auch in Europa wurden nicht nur einmal direktdemokratische Abstimmungen ignoriert oder gar wiederholt, wenn das Volk nicht vernünftig entschied.

Ein demokratisches Gemeinwesen ist demnach eines, in dem zwischen Optionen gewählt werden kann, und in dem möglichst viele Formen der Beteiligung erlaubt, bestenfalls sogar erwünscht sind. Seine Qualität erweist sich daran, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit Informieren, Opponieren, Wählen und Initiativ-Werden bestmöglich zusammenspielen. All dies jedoch immer im Rahmen des Verfassungsbogens und der politisch festgelegten Oberziele des Gemeinwesens. Nicht jede Partizipation ist förderungswürdig. Ja es ist sogar legitim, Aktivitäten, die den Klimawandel beschleunigen oder den gesellschaftlichen Zuammenhalt gefährden, wenn rechtlich möglich zu unterbinden.

Eine lebendige und pluralistische Stadt braucht eine städtische Beteiligungskultur. Den ersten Schritt hierbei müssen die Regierenden setzen. Angefangen von öffentlicher Informations- und Bildungsarbeit, die über Vorhaben der Stadt umfassend Auskunft gibt, bis hin zu intensiven Beteiligungsverfahren und themenspezifischen Abstimmungen über städtische Zukunftsfragen – all dies zusammen drückt eine Haltung der Partizipation, der Offenheit und des Respekts aus.

Nur systematische Vorleistungen der städtischen Verwaltung und der stadtpolitischen EntscheidungsträgerInnen verhindern, dass mit Bürgerprotest politisches Kleingeld gemacht wird. Mehr direkte Demokratie ist wichtig –ist aber niemals isoliert die Lösung: Weder bei den Reininghausgründen in Graz noch beim Parkpickerl in Wien. Nur noch weniger hilfreich ist das Festhalten am demokratiepolitschen Status Quo, der BürgerInnen zum Stimmvieh alle fünf Jahre degradiert.

Angesichts der kursierenden Politikverdrossenheit gilt es, sofort und glaubwürdig eine breite Beteiligungskultur zu fördern, die wo immer möglich und sinnvoll BürgerInnen frühzeitig in Planung und Gestaltung einbindet. Und die auch akzeptiert, dass BürgerInnen wählen und anderes wollen und durchsetzen als die Stadtverwaltung ursprünglich vorhatte.

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