Meinungsfreiheit – bald nur noch ein Problem statt ein Menschenrecht?

Die EU-Kommission gibt, unter Federführung von Kommissarin Cecilia Malmström, zweistellige Millionenbeträge für Forschung zu Überwachungs- und Zensurtechnologien aus. Religiös motivierte Politiker aus Ländern wie Saudi-Arabien treten vor die Vereinten Nationen und verlangen ernsthaft, man müsse sich mit dem „Problem der Meinungsfreiheit“ auseinandersetzen. Offenbar hält man die Gelegenheit für günstig, die Einführung einer weltweiten Zensur zu propagieren. Sind wir auf dem besten Wege, Bürger eines Gefängnisplaneten zu werden, oder handelt es sich dabei nur um die Todeskrämpfe der von technologischen und soziologischen Veränderungen überwältigten Machteliten?

Beispiel „CleanIT“: Ein Projekt mit Hintergedanken, oder einfach nur inkompetente Vergeudung von Gemeinschaftsgeldern?
Ziel des von der EU-Kommission geförderten Projektes ist es, die „terroristische Verwendung“ des Internets zu bekämpfen. Es hat vor etwas mehr als einem Jahr seine Arbeit aufgenommen und wurde bisher mit rund 400.000 Euro dotiert. Ein vergleichsweise kleiner Teil vom Gesamtkuchen, aber in Zeiten zunehmender Verarmung in Europa trotzdem bemerkenswert. Immerhin haben in Spanien einige zehntausend Familien nicht einmal mehr satt zu Essen. Von Arbeit und menschenwürdigen Lebensumständen ganz zu schweigen.

Was bekommt man also nach einem Jahr der Tagungen und Konferenzen für den Gegenwert zweier Einfamilienhäuser? Ein eigentlich vertrauliches (aber trotzdem an die Öffentlichkeit gelangtes) Entwurfspapier mit denkwürdigen Sätzen wie dem folgenden (Übersetzung aus dem Englischen durch die Redaktion):

„Internet-Firmen sollten die terroristische Verwendung des Internets in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen klar untersagen und entsprechende Regeln effektiv durchsetzen.“

Was auf den ersten Blick selbstverständlich klingen mag, ist bei genauerer Betrachtung entweder überflüssiger Unsinn, oder etwas ganz anderes, als das was es zu sein vorgibt. Denn selbstverständlich sind Unternehmen bereits jetzt dazu verpflichtet, die illegale Verwendung ihrer Dienste bestmöglich zu unterbinden. Wer es schafft, in den AGB auch nur eines einzigen namhaften Unternehmens keinen entsprechenden Passus zu finden, bekommt das große imaginäre Internet-Verdienstkreuz am nichtexistenten Bande verliehen.

Also wo ist der Haken? Warum stellen die Verantwortlichen von CleanIT eine völlig redundante Forderung in den Raum? Weil sie in Wirklichkeit nicht redundant ist sonder eine drastische Veränderung darstellt. Man beachte die Prägung eines neuen, unscharfen Begriffes namens „terroristische Verwendung“ anstatt der völlig klar definierten Termini „rechtswidrige Verwendung“, „illegale Verwendung“ oder „Verwendung zu kriminellen Zwecken“.

Was die Verantwortlichen des CleanIT-Projektes fordern, geht weit über den Rahmen von Recht und Gesetz hinaus. In Wirklichkeit wird, offenbar ohne sich dafür im geringsten zu genieren, angedacht die „terroristische Verwendung“ des Internets über Eingriffe in die Privatwirtschaft zu verhindern bzw. zu bestrafen, ohne dass überhaupt eine strafbare Handlung vorliegt.

Demonstranten, Bürgerrechtsgruppen und Aktivisten, welche mit legitimen demokratischen Mitteln versucht haben, Einfluss auf die Gestaltung von Politik und Gesellschaft zu nehmen, wurden in den letzten Jahren von Politikern und Wirtschaftstreibenden wiederholt in das „terroristische Eck“ gestellt. Im Zusammenhang mit dem gescheiterten Urheberrechts-Abkommen „ACTA“ wurde beispielsweise mehrfach öffentlich erklärt es sei „bedauerlich, dass sich politische Entscheidungsträger dem Terror der Massen beugen müssen“. Das selbe Muster konnte auch im Zusammenhang mit den weltweiten Demonstrationen der Occupy-Bewegung beobachtet werden.

Folgt man dieser neuen Sichtweise, wonach praktisch jeder Versuch einer öffentlichen Meinungsäußerung als Terrorismus gebrandmarkt werden kann, dann liefert CleanIT den Entwurf für eine Diktatur, in der private Blockwarte die von den jeweiligen Machteliten willkürlich definierten Gedankenverbrechen „unterbinden“. Ohne die geringste gesetzliche Kontrolle oder demokratische Legitimation.

Der allgemeine Trend, Planungen in diese Richtung salonfähig zu machen, ist mehr als bedenklich. Es ist die wohl wichtigste Aufgabe einer freien, demokratischen Gesellschaft, dem rechtzeitig und wirkungsvoll einen Riegel vorzuschieben.

Über Wolfgang Kuehn

Wolfgang Kühn ist Leiter der Planet-Redaktion, freier Journalist, Autor und IT-Consultant.
Homepage: www.wolfgang-kuehn.com

Ihre Meinung ist uns wichtig

*

"));