„Goldener Reis“ – ein Paradebeispiel für Skrupellosigkeit?

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Vitamin-A Mangel ist, neben anderen Mangelerkrankungen aufgrund unzureichender oder einseitiger Ernährung, ein in Asien und Afrika weit verbreitetes Problem. Die Ernährung vieler Kinder in den „Entwicklungsländern“ ist derart mangelhaft, dass vermeidbare Erblindungen zum traurigen Alltag gehören. Auch die Sterblichkeitsrate von werdenden Müttern ist durch die Fehlernährung deutlich erhöht.

Als Lösung für das Problem wird immer wieder der sogenannte „Goldene Reis“ propagiert, eine gentechnisch veränderte Reissorte, welche deutlich mehr Beta-Karotin produziert als ihre konventionellen Verwandten. Aber kann man die Ernährungsprobleme der Welt tatsächlich mit gelb eingefärbtem Reis lösen? Oder stehen hinter dem Projekt womöglich sogar andere, gar nicht so übermäßig menschenfreundliche Interessen? Kritikpunkte scheint es jedenfalls in ausreichender Zahl zu geben:

Der falsche Reis?
Es gibt im Prinzip zwei große „Familien“ von Oryza Sativa (Reis), nämlich „Japonica“ und „Indica“. Die Unterscheidung zwischen den beiden ist recht einfach, Japonica-Sorten kommen bei uns als „Rundkorn“ bzw. „Mittelkorn“ in den Handel. Sie werden mit dem Kochen wesentlich weicher und klebriger. Wem in der Kindheit öfter mal Milchreis aufgetischt wurde, dem ist Oryza Sativa Japonica nicht unbekannt.

Der sog. Langkorn-Reis (mit all seinen Varianten, vom Hom-Mali über Jasminreis bis hin zum Basmati) bildet die Indica-Familie. In den von Vitaminmangel betroffenen Regionen (hauptsächlich Indien, Sri-Lanka, Bangladesch und die Philippinen) wird praktisch ausschließlich Langkornreis angebaut. Japonica-Reis wächst dort aufgrund der unpassenden Klimabedingungen nur schlecht und würde auch von der Bevölkerung nicht ohne weiteres angenommen.

Dummerweise erwies es sich aber offensichtlich als sehr schwierig, die für „Goldenen Reis“ gewünschten Gene in Indica-Sorten zu transferieren, weswegen die Forscher ihre Bemühungen kurzerhand auf Japonica-Reis verlegten. Die im Feldversuch erprobten Gen-Reis Varianten gehören alle zu dieser Familie. Die wenigen durchgeführten Ernährungsstudien haben ebenfalls auf Japonica-Reis zurückgegriffen. Wer es nicht glaubt, braucht nur einen Blick auf die veröffentlichten Marketingbilder zum Goldenen Reis zu werfen. Gerade wenn der Genreis zwecks Farbvergleich neben herkömmlichen Produkten präsentiert wird, ist der Unterschied offensichtlich. Auf allen Bildern ist definitiv nur gelber Rundkornreis zu sehen.

Zwar gibt es mittlerweile Bemühungen, das Vitamin-A Gen in Indica-Sorten einzukreuzen, diese Sorten existieren aber nur im Labor. Wer erwartet, für die neuen Kreuzungen zumindest schon einmal aussagekräftige Daten zum Gehalt an Beta-Karotin zu finden, wird schnell enttäuscht. Ob es überhaupt je gelingen wird, einen Indica-Reis mit nennenswert erhöhtem Beta-Karotin Anteil im Korn zu kreieren steht offensichtlich noch Jahren der Forschung noch immer völlig in den Sternen.

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Haltbarkeit und praktischer Nutzen? Ungeprüft und unbewiesen!
Reis wird als Grundnahrungsmittel verhältnismäßig lange gelagert. In der Regel entweder in Silos, oder in Säcke verpackt in einem Lagerhaus. Auf jeden Fall jedoch so gut wie immer bei normaler Umgebungstemperatur. Wie lange ist das Beta-Karotin unter diesen Bedingungen im Korn haltbar? Vielleicht sollte die Frage allerdings anders lauten: Warum hat bisher niemand die Haltbarkeit überprüft? Was nützt die ganze Entwicklungsarbeit, wenn der Nutzen womöglich schon nach wenigen Wochen Lagerung vollständig verloren geht?

Der für eine Ernährungsstudie an Kindern in China verwendete Reis wurde jedenfalls sofort nach der Ernte bei -70 Grad Celsius eingefroren. Warum dieser Aufwand? Vermutete man etwa im Voraus, dass der Versuch sonst scheitern würde? Ganz nebenbei bemerkt berichten übrigens zahlreiche Quellen, dass alle an der Studie beteiligten chinesischen Wissenschaftler kurze Zeit später entlassen wurden. Angeblich wegen grober Verstöße gegen Dienstvorschriften und Forschungsethik.

Tatsächlich ist völlig unklar, ob die Eltern der beteiligten Kinder wussten, dass es sich bei dem Versuch um die Erprobung eines neuen, gentechnisch veränderten Produktes handelte. Tierfütterungsversuche gab es vor der Erprobung an minderjährigen Chinesinnen und Chinesen offensichtlich auch keine.

Warum überhaupt Genreis?
Gesundheitsgefährdender Vitamin-A Mangel hat eine einzige, klare Ursache: Armut. Bittere, für Europäerinnen und Europäer praktisch unvorstellbare Not. Armut die so groß ist, dass man sich neben einer Hand voll Reis jeden Tag absolut nichts anderes zu Essen leisten kann. Warum gibt man Millionen dafür aus, ein Lebensmittel zu erfinden mit welchem man diesen unmenschlichen Zustand quasi „ruhigen Gewissens“ aufrechterhalten kann?

Ist die Welt wirklich besser geworden, wenn nach wie vor Millionen Menschen (und vor allem Kinder!) tagtäglich nichts anderes zu essen bekommen als blanken Reis? Macht die Frage, ob dieser Reis nun Gelb oder Weiß ist, wirklich den maßgeblichen Unterschied?

Die WHO scheint das jedenfalls anders zu sehen. Tatsächlich hat die Weltgesundheitsorganisation in den letzten Jahren nämlich schon beträchtliche Erfolge bei der Bekämpfung von Mangelkrankheiten in den betroffenen Ländern erzielt. Nicht mit Frankenreis, sondern mit einer Mischung aus Vitaminpräparaten für die Soforthilfe, Aufklärung und Propagation nachhaltiger Anbaumethoden für Gemüse, sowie der Förderung von Landreformen. Gentechnik-Apostel mögen es kaum glauben, aber gerade letztere Maßnahme funktioniert ausgezeichnet.

Gibt man armen Familien ein Stück Land und hilft ihnen mit Saatgut und Know-How, einen eigenen Gemüsegarten zu betreiben, dann ernähren sie sich plötzlich nicht mehr nur von Reis. Die meisten traditionellen Gemüsesorten in Indien, Sri-Lanka, Bangladesch und auf den Philippinen sind im übrigen von Natur aus extrem reich an Vitaminen.

Sofortlösung gegen Vitamin-A Mangel: Fischöl

Um wie viel besser könnte die Situation bereits sein, wenn man die Millionen, welche für genetische Manipulationen an Reis ausgegeben wurden, stattdessen der WHO für ihre nachweislich erfolgreichen Projekte gegeben hätte? Ein kurzer Blick in die jüngere Geschichte mag ebenfalls dabei helfen, die Perspektive ein wenig gerade zu rücken: Im Deutschland der Nachkriegszeit wurde das Problem Vitamin-A Mangel bei Kindern kurzerhand dadurch aus der Welt geschafft, dass in den Schulen regelmäßig Lebertran verabreicht wurde. Vielleicht für manche nicht sehr „gschmackig“, vor allem wenn das Fisch-Öl schon etwas älter ist, aber kostengünstig und 100% effizient.

Eine Brechstange für die Gentechnik als wahres Motiv?
Der Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft ist in praktisch ganz Asien (genau so wie in Europa) ein extrem heikles Thema. Die Menschen sind stolz auf ihre hochentwickelte Esskultur und die traditionellen Produkte ihrer Länder. Agro-Konzerne wie Monsanto haben es auf diesen Märkten daher verhältnismäßig schwer und müssen oft mit heftigem Gegenwind kämpfen.

Zieht man alle oben genannten Argumente in Betracht, dann bleibt für die Frage nach dem Warum eigentlich nur eine Vermutung übrig: Das Projekt „Goldener Reis“ soll dazu dienen, gentechnisch verändertes Saatgut über ein vorgeblich menschenfreundliches Vorhaben in den Markt zu hebeln und Salonfähig zu machen. Dass die versprochene Hilfe für die von Vitaminmangel betroffenen Menschen dabei höchstwahrscheinlich von vornherein auf der Strecke bleibt, scheint zweitrangig zu sein.

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Über Wolfgang Kuehn

Wolfgang Kühn ist Leiter der Planet-Redaktion, Autor und Berater.
Weitere Informationen finden Sie auf seiner persönlichen Homepage unter www.wolfgang-kuehn.com, sowie auf Google+ und Twitter.

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