Wachstum im Wandel (2)

Spätestens seit dem Club of Rome-Bericht zu den „Grenzen des Wachstums“ 1972 wird Wachstum problematisiert. Viele theoretische Ansätze haben über die letzten Jahrzehnte versucht, eine Synthese von Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft zu schaffen. Eine Inspiration hierzu waren die Überlegungen von Karl Polanyi, der in seiner Kritik der Marktgesellschaft zeigte, dass entfesselte Märkte eine zerstörerische Tendenz haben und es darum gehe, die ökonomischen Dynamiken wieder einer gesellschaftlichen, heute würden wir sagen einer sozialökologischen Perspektive unterzuordnen. Der Markt müsse in die Gesellschaft „eingebettet“ werden. So versucht der Ansatz der Nachhaltigkeit, Ökologie, Ökonomie und Soziales als drei Dimensionen von Entwicklung zu verstehen, die gleichermaßen zukunftsfähig ausgerichtet werden müssen.

Das Unterfangen, eine auf Preisen basierende Wirtschaftsordnung mit der dynamischen Funktionsweise ökologischer Systeme und stofflicher Flüsse vereinbar zu machen, erwies sich als schwierig. Zwar sind Bestrebungen, die wahren Kosten von Produkten zu erfassen, wirksame Mittel, um Konsumverhalten zu beeinflussen. Doch nur zu oft, haben positive Verhaltensänderungen – wie der Kauf energiesparender Geräte – zur Folge, dass schlicht mehr konsumiert wird. Mit dem 3-Liter-Auto wird mehr gefahren; mit dem Kauf einer Energiespartiefkühltruhe wird die alte Tiefkühltruhe einfach ins Zweithaus mitgenommen …

Alle empirischen Untersuchungen zeigen, dass trotz hoher Aufmerksamkeit, vieler Konferenzen, Studien und Berichte der Konsum von Energie und Ressourcen in den letzten Jahren weiter zugenommen hat. Es gibt keine empirisch feststellbare Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch, Emissionsausstoß oder Energieverbrauch. Aus diesem Grund sind Verfechter der Post-Wachstumsökonomie der Meinung, dass ökologische Probleme nur bearbeitbar sind, wenn die Wirtschaft schrumpft. In diesem Sinne gehen die Ansätze zur Zeit sogar über den Ansatz einer „Gleichgewichtsökonomie“, eines steady state, hinaus und fordern in Anbetracht des Klimawandels systematische Reduktionen.

Für Niko Paech ist dies auch moralisch notwendig, denn letztlich ist der ökologische Fußabdruck in Europa ein Vielfaches dessen, was planet-verträglich ist. Es braucht also bei uns einen Wandel der Lebens- und Arbeitsweise, dies ist Konsens unter den verschiedenen Ansätzen der Post-Wachstumsökonomie. Radikale Arbeitszeitverkürzung, Reparaturökonomie, Stärkung lokaler Märkte und strikte Regulierung des Finanzsystems sind einige der Kernforderungen. Es sind dies allesamt Forderungen, die mit der grünen Vision eines guten Lebens für alle vereinbar sind.

Diese Ansätze der Post-Wachstumsökonomie finden in der öffentlichen Diskussion jedoch nur am Rande Eingang. Keine politische Partei, auch nicht die Grünen, hat sich diese Forderung angeeignet. Die Diskussion über die Wirtschaftskrise wird in den Medien weitgehend als Streit zwischen KeynesianerInnen und Neoliberalen geführt. Dies liegt zum einen an der Struktur der Medien und ihrem Filter, der Systemfragen, Fragen, die ans „Eingemachte“ gehen, gern ausklammert.

Ein Teil des Problems liegt aber auch an den Ansätzen selbst, die sich kaum mit der Frage des Übergangs, dem Weg von der bestehenden, wachstumsabhängigen kapitalistischen Marktgesellschaft zu einer solidarischen und ökologischen Kreislaufwirtschaft beschäftigen. Die diesbezüglichen Antworten sind zumeist halbe Antworten, weil sie von einem autonomen, selbstbestimmten Individuum ausgehen, das aus moralischen Gründen aus- und umsteigt. Doch dies ähnelt dem Menschenbild des neoliberalen Individuums, das unverbunden und unabhängig von Institutionen und Strukturen existiert. Sie übersehen dabei, dass es zum Kapitalismus gleichermaßen dazugehört, unbeschränkte Möglichkeiten vorzugaukeln und gleichzeitig die Lebenschancen von Menschen einzuschränken: indem Saatgut monopolisiert wird, werden Menschen und Staaten in Schuldknechtschaft getrieben; Haushalte in ländlichen Regionen können ohne Auto nur schwer an der Gesellschaft teilhaben und Patentrechte verhinden die Nutzung lebenswichtigen Wissens für alle.

Die Frage des Übergangs Ernst zu nehmen, heißt, sich mit Widersprüchen beschäftigen. Es geht also um radikale Reformpolitik, um die Verbindung von Realpolitik hier und jetzt und die Vision eines guten Lebens für alle als Orientierung für unsere Entscheidungen heute.

Andreas Novy ist ao. Universitätsprofessor an der WU-Wien und Obmann der Grünen Bildungswerkstatt

Kommentare

  1. So genannte “Experten” sind bekanntlich solche, die von immer weniger immer mehr wissen, bis sie irgendwann von Nichts alles wissen. Die ganz hohe Kunst, von Nichts alles zu wissen, wurde von Priestern entwickelt:

    (Lutherbibel 1984 / Genesis_3,6) Und die Frau (Finanzkapital) sah, dass von dem Baum (Geldverleih) gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht (Urzins) und aß und gab ihrem Mann (Sachkapital), der bei ihr war, auch davon und er aß.

    Silvio Gesell: Die Übertragung des Urzinses auf das Sachkapital
    http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/gesell/nwo/5_4.htm

    Alle elementaren volkswirtschaftlichen Zusammenhänge, die mit genialen, archetypischen Bildern und Metaphern in Genesis_1,1-11,9 exakt umschrieben sind, wurden durch die Überdeckung mit gegenständlich-naiven Fehlinterpretationen (so genannte Exegese der Priesterschaft) über Jahrtausende aus dem Begriffsvermögen der halbwegs zivilisierten Menschheit vollständig ausgeblendet.

    Da es egal ist, welchen Unsinn die jeweilige Priesterschaft redet, solange die eigentliche, makroökonomische Bedeutung im Verborgenen bleibt, erfüllen die Priester noch heute ihre Aufgabe, auch wenn sie schon lange nicht mehr wissen, was sie tun (etwa seit dem 6. vorchristlichen Jahrhundert). Und weil Priester sich stets in Bescheidenheit üben, wissen sie natürlich nicht, dass sie von Nichts alles wissen, sondern glauben nur daran.

    Dieser Glaube wurde im Lauf der Geschichte von studierten “Wirtschaftsexperten” und gewählten “Spitzenpolitikern” übernommen, sodass man heute nicht nur sprichwörtlich, sondern tatsächlich bei Adam und Eva anfangen muss, um solchen Patienten die Marktwirtschaft zu erklären:

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2011/07/die-ruckkehr-ins-paradies.html

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