Europa ist im großen und ganzen nicht sehr demokratisch. Sowohl in den einzelnen Nationalstaaten, als auch auf EU-Ebene, haben die Bürgerinnen und Bürger de facto keine eigene Stimmgewalt. Es steht ihnen lediglich frei, in regelmäßigen Abständen aus einer Anzahl vorbestimmter Kandidatinnen und Kandidaten die nächste Legislative zu wählen.
Im Vergleich zu anderen Regierungsformen, wie den Oligarchien des heutigen Osteuropa, Diktaturen oder gar einer Monarchie, ist diese „repräsentative Demokratie“ natürlich schon ein gewaltiger Fortschritt. Aber nur weil der Nachbar überhaupt nichts anzuziehen hat, wird das eigene fadenscheinige Hemd auch nicht wärmer.
Es war aber natürlich auch nie die Intention der Gründerinnen und Gründer unserer demokratischen Institutionen, dass die Entwicklung auf dieser eher primitiven Stufe einfach stehen bleiben sollte. Demokratie ist etwas, worüber stetig diskutiert und gestritten werden muss. Sie muss sich weiter entwickeln, sonst zerbricht sie an Politikmüdigkeit und Resignation, wie man sie von Spanien über Frankreich, Italien, Deutschland und Österreich, bis nach Ungarn, Rumänien und Bulgarien derzeit überall beobachten kann.
Als Vorbild dafür, wie unsere Demokratien eigentlich einmal aussehen sollten, wird häufig die Schweiz herangezogen. Tatsächlich ist das schweizer System weltweit die mit Abstand direkteste, der Bevölkerung am meisten Rechte einräumende Regierungsform. In der Schweiz ist man aber nicht von einem Tag auf den anderen zu einer direktdemokratischen Verfassung übergewechselt.
Wer heute fordert, andere Nationalstaaten oder gar die gesamte EU nach Schweizer Vorbild umzugestalten, überspringt damit möglicherweise ein paar für den Erfolg des Systems lebensnotwendige Entwicklungsschritte.
Würde man stattdessen dort ansetzen, wo die Demokratisierung der modernen Schweiz um das Jahr 1830 begonnen hat, um von diesem Punkt aus in eigenen Bahnen zu einer Verbesserung von Mitsprache und Mitbestimmung zu kommen, dann wäre der logische nächste Schritt die Einführung eines Volksvetos.
Die Bevölkerung Europas müsste also das Recht erhalten, Gesetze und Staatsverträge (!) innerhalb einer gewissen Frist nach ihrem Beschluss schlichtweg aufzuheben. Bereits in der Ausgestaltung dieses Vetorechtes wird sich der gesamteuropäische Weg von der lokalen schweizerischen Lösung unterscheiden müssen.
Zu verlangen, dass zur Aufhebung beispielsweise einer europäischen Richtlinie in jeder europäischen Gemeinde einzeln durch fünfzig Wahlberechtigte eine Abstimmung verlangt werden muss und das Veto erst gültig wird, wenn auf diesem Weg mehr als fünfzig Prozent aller Gemeinden dafür gestimmt haben, erscheint auf europäischer Ebene doch noch etwas unpraktikabel. Selbst das wäre aber bereits ein Fortschritt, würde es den Menschen doch die Möglichkeit geben, in „Vetostürmen“ zumindest die ärgsten Fehlentscheidungen und Ungerechtigkeiten zu verhindern.
Ein funktionierendes Volksveto hätte auch den Vorteil, dass dadurch der Einfluss von Lobbyisten und großzügigen Wahlkampfunterstützern auf die Gesetzgebung etwas abgemildert werden könnte. Die Kosten für das Durchsetzen unpopulärer und offensichtlich eigennütziger Regelungen würden nämlich erheblich steigen, wenn plötzlich nicht mehr nur eine relativ kleine Schar von Repräsentanten überzeugt werden müsste, sondern im Zweifelsfall die gesamte Bevölkerung. So viele Aufsichtsratsposten haben selbst internationale Großkonzerne nicht anzubieten.
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